Als ich 2021 das letzte Mal im Ahrtal, in Heimersheim, war, war es ein Katastrophengebiet. Alles war mit vertrocknetem Schlamm bedeckt und die Luft hing voll bitterem Staub. Wir haben schwere Schuhe getragen und alte Kleidung. Jeden Kratzer sollte man zügig desinfizieren, das Leitungswasser nicht einmal zum Zähneputzen verwenden. Die Wasserlinien an den Gebäuden standen bis in den zweiten Stock hoch. Mühlsteine wurden zurück an ihren Platz gerollt und es gab die strickte Anweisung, Knochenfunde zu markieren, denn die Flut hatte vor Friedhöfen nicht halt gemacht.
In einem der Häuser, in denen ich nach der Flut geholfen habe, war ein junger Mann, der nicht aufhören konnte zu arbeiten. Erst, als wir ihm versprochen haben, dass wir, während er schläft, nichts schweres tun, hat er sich eine Stunde hingelegt. Später haben sich Seelsorger um ihn gekümmert. Er stammte nicht aus Heimersheim, sondern war wie ich ein Helfer von aussen. Ich kann seinen inneren Zwang gut verstehen und bin dankbar, dass ich wieder fort musste und Verpflichtungen hatte. Ich wäre sonst auch geblieben.
Jede Person, die ich getroffen habe, hatte schlimme Geschichten zu erzählen. Einerseits aus der Katastrophennacht. Davon, wie man noch ganz knapp den Grossvater aus dem Keller hatte rufen können. Davon, wie man sich beinahe noch ins Auto gesetzt hätte, um notfallmässig Trinkwasser zu kaufen. Davon, wie man beobachtet hat, wie andere sich nicht haben in Sicherheit bringen können. Aber auch von der Zeit unmittelbar danach. Davon, Tote gefunden zu haben. Von Plünderern, welche das Leid der Menschen noch mehr ausgenutzt haben. Was alles wahr ist? Ich weiss es nicht. Aber bei dem was ich gesehen habe: Wohl alles. Es war wohl alles wahr.
Seit jenen Tagen habe ich oft daran gedacht. An das Leid, aber auch an das Gefühl des Zusammenhaltes. Daran, wie ich mit wildfremden Menschen geschuftet, aber auch zusammengesessen und gegessen habe. Daran, wie die Menschen alles daran gesetzt haben, zu retten, was zu retten war, und unermüdlich Hand in Hand gearbeitet haben. Daran, wie Dutzende und Aberdutzende von Helfern mit Bussen ins Tal gefahren worden sind, um an ihrer Seite mit anzupacken. Überall wurde diese Hilfe gebraucht. Alles war zerstört.
Dabei ist die Ahr ein so beschauliches, schönes Flüsschen. Die Gegend ist wunderschön. Aber in Ufernähe, da stehen noch immer Ruinen. An manchen Orten wird gebaut, an Brücken, an Bahntrassen, an Strassen. An anderen steht geschrieben, dass abgerissen wird. Es sind Ruinen, die keine Zukunft mehr haben. Es lässt mich weinen. Ein so beschauliches, kleines Flüsschen.


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